Bindung

Mehr Mut bei Gestaltung von Arbeit

Interview mit Carola Sass, Gründerin cbm GmbH
  • Arbeitszeitmodelle
  • Female Empowerment
  • Flexibilität

Carola Sass Quelle: cbm GmbH

Wenn es um das Thema Arbeitszeitmodelle und Führung geht, hat Carola Sass eine klare Haltung. „Diese ganze Unterteilung nach Teilzeit und Vollzeit empfinde ich als überholt und begrenzend“, sagt die Gründerin und ehemalige Geschäftsführerin des Bremer Weiterbildungsträgers cbm.


Vor knapp 30 Jahren hat sie gemeinsam mit Bernhard Hashagen gegründet. Heute arbeiten gut zehn Mitarbeitende bei cbm; dazu kommen rund 30 Coaches und Trainer:innen, die neben Informatik vor allem im Bereich E-Commerce, Mediendesign und Online-Marketing weiterbilden. Von den zehn festen Mitarbeiter:innen sind acht weiblich. Das sei kein Zufall, sondern harte Arbeit gewesen, sagt Carola Sass. Die Geschäftsführung teilte sie sich die ersten 20 Jahre mit Bernd Hashagen und nach kurzer Solo-Führung seit gut vier Jahren mit Katrin Querfeld im Tandem. Dieses Jahr zieht sich Sass aus der Geschäftsführung zurück. Was sie in ihrer Zeit über Zusammenarbeit und Führung gelernt hat und was sie sich für die Gestaltung von Arbeit wünscht, erzählt sie uns im Interview.

Du hast cbm einige Jahre mit deiner Kollegin und früher mit deinem Mitgründer im Tandem geführt. Wie können wir uns das konkret vorstellen?

Tandem und Teilzeitführung haben von Beginn an mein Führungsselbstbild geprägt, auch um eine gewinnende Arbeitgeberin zu sein. Mich hat es sehr gereizt, eher konservative Führungsglaubenssätze infrage zu stellen und gut für instabile und komplexe Gegebenheiten gewappnet zu sein. Sowohl flexiblere Arbeitsstrukturen, als auch eine gute Kooperations- und Kommunikationskultur sind dabei unerlässlich. Durch eine konsequente Nutzung digitaler Werkzeuge und einer guten Netzwerkkultur braucht es weniger Vorgaben, dafür eine attraktive Vision für die gemeinsame Ausrichtung, sowie klare Werte und Regeln für das Miteinander. Moderne geteilte Führung fordert immer, zur Sebstreflexion bereit zu sein, und basiert auf Vertrauen in die Fähigkeiten der anderen. So entstehen mehr Freiraum, mehr Dynamik und Selbstverantwortung bei allen. Im besten Fall geht mal der eine oder die andere mehr in Führung. So können beide als verlässliche Ansprechpartner:innen punkten und für eine lebendige Feedbackkultur im gesamten Team sorgen.

Wie ist dein Verständnis von Arbeitszeit?

Aus meiner Sicht muss Arbeitszeit flexibel und fluktuierend sein. Wir sollten diese vielmehr als Lebensphasen-Zeitmodell verstehen und uns stets fragen: Welches Modell passt in meine jeweilige Lebensphase? Das bringt einen Mehrwert für alle, auch für die Unternehmen. Mitarbeitende sollten nicht unnötig limitiert und in begrenzende Strukturen gezwungen werden. Sobald das geschieht, leidet oft die Motivation und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beginnen „Dienst nach Vorschrift“ zu machen, da ihnen genau diese Grenzen und starren Strukturen vorgegeben werden.

Das ist aber sicherlich etwas, das nicht in jedem Unternehmen so funktioniert.

Das ist richtig. Doch gerade in der IT- und Digital-Branche ist flexibles Arbeiten in der Regel möglich. Vor allem, wenn es darum geht, Frauen in die Branche zu bekommen, die ja nun mal nach wie vor einen Großteil der Care-Arbeit erledigen, sollten wir anfangen umzudenken. Diese festen Strukturen, die viele Führungskräfte mit Blick auf Arbeitsplatzgestaltung nach wie vor in den Köpfen haben, sind einfach nicht mehr zeitgemäß. Das Leben besteht nicht nur aus Nullen und Einsen, Schwarz und Weiß, oben und unten – wieso sollte dann ein Arbeitsplatz so gestaltet sein?

Diese festen Strukturen, die viele Führungskräfte mit Blick auf Arbeitsplatzgestaltung nach wie vor in den Köpfen haben, sind einfach nicht mehr zeitgemäß.

Carola Sass

Was bedeutet das konkret? Wie können wir uns die Arbeit bei cbm vorstellen?

Zum einen spielt die Technik eine große Rolle, denn diese ermöglicht Flexibilität, was den Arbeitsort angeht. Bei uns können alle Mitarbeitenden stets frei entscheiden, ob sie im Büro oder im Homeoffice arbeiten. Das nimmt besonders Müttern und Vätern enorm viel Stress, da es sie bei der Organisation und Koordination des Alltags entlastet. Auch unsere Arbeitsplätze im Büro sind so eingerichtet, dass wir sie nach Bedarf wechseln können. Dazu kommt die schon angesprochene flexible Arbeitszeiteinteilung. Das alles setzt bei Führungskräften, neben dem ernstgemeinten Vorhaben etwas verändern zu wollen, vor allem eins voraus: Vertrauen ins eigene Team.

Und das funktioniert?

Das funktioniert sogar ganz hervorragend. Bei uns wird sehr darauf geachtet, dass alle in Selbstverantwortung kommen. Was meine ich damit? Bei cbm ist es beispielsweise üblich, dass alle wissen, was für Themen und Aufgaben die Kolleginnen und Kollegen auf dem Tisch haben. Einzelne Mitarbeiter:innen erklären den anderen, was sie machen und woran sie gerade sitzen. Das hilft enorm, sich in die Kolleginnen und Kollegen konkreter einzufühlen und ein Verständnis für die Arbeit der anderen zu entwickeln. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass dieses Vorgehen sehr wertschätzend erlebt wird, das Selbstbewusstsein stärkt und Konflikte im Team minimiert. Außerdem hilft es dabei, sich inhaltlich weiterzuentwickeln, da man automatisch über den eigenen Arbeitsbereich hinausdenkt. All dies sind Dinge, die Selbstverantwortung und Selbstbestimmung fördern – zwei wichtige Bausteine, die flexiblem Arbeiten den Weg ebnen.

Wie komme ich mit meinem Team auch da hin?

Wichtig ist es vor allem, offen für neue Strukturen zu sein und auszuprobieren. Warum nicht zum Beispiel mal testweise mit einem Monatsstundenkontingent arbeiten? So vieles ist möglich, es muss schlicht gemacht werden. Für den Prozess ist es wichtig, dass eine Anlaufstelle für Fragen, Konflikte und Rückmeldungen geschaffen wird. Ganz egal, wer diese Person ist und wie die Stelle genannt wird: Es muss eine Anlaufstelle kommuniziert werden und diese auch ansprechbar sein.

Warum nicht zum Beispiel mal testweise mit einem Monatsstundenkontingent arbeiten?

Carola Sass

Du hast vorwiegend Frauen im Team – ist das ein Zufall?

Nein, das war eine ganz bewusste Entscheidung. Ich höre immer wieder „ich würde ja gerne mehr Frauen im IT-Bereich einstellen, aber ich finde einfach keine“. Auch ich hatte Probleme, welche zu bekommen. Irgendwann hat es mir gereicht und ich habe für mich die Entscheidung getroffen und es dann auch einfach gemacht. Und siehe da: Es gibt sie doch. Die Suche war langwieriger, aber am Ende zahlt es sich aus.

Was hat sich seit der Entscheidung bei cbm verändert?

Ich bin glücklicher. Ich bin inzwischen seit 30 Jahren in diesem Business und ebenso lange setze ich mich dafür ein, dass Frauen besonders in unserer Branche sichtbarer werden. Ich erlebe bei cbm täglich mit eigenen Augen, wie Role Models geschaffen werden.

Ist die Arbeit in einem überwiegend weiblichen Team eine andere?

Ja, vor allem die Kommunikation. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen einfach verlässlicher arbeiten und oft viel robuster sind. Sie beklagen sich weniger und brauchen weniger Anerkennung – vielleicht, weil sie es schlicht gewohnt sind, nicht gesehen zu werden. Es ist immer wieder großartig zu erleben, wie sich über die Zeit die Dynamik verändert, wenn die Kolleginnen merken, dass sie gesehen, gemeint, wertgeschätzt und repräsentiert werden.

Das ist ja ein ziemlich offensives Urteil.

Es ist doch so: Tradierte, geschlechtsspezifische Rollenerwartungen und Diskriminierungen bremsen die Frauen systematisch beruflich aus. Dadurch hat sich eine Arbeitskultur etabliert, in der Frauen und Männer unterschiedlich arbeiten. Beide haben nützliche und weniger nützliche Qualitäten ausgeprägt und natürlich trifft nicht immer alles auf jede:n zu. Doch bisher erscheint mir der Ansatz meistens der zu sein, Frauen in männliche (Arbeits-)Strukturen zu drücken. Das ist aus meiner Sicht die falsche Herangehensweise. Meine Zeit in einem überwiegend weiblichen Team hat mir ein völlig anderes Arbeiten offenbart. Natürlich war auch hier nicht immer alles rosarot. Es hat mir aber gezeigt, was möglich ist, wenn sich ein Mensch in seiner Arbeit frei entfalten kann. Ebenso wie befriedigend und erfolgreich es sein kann, Frauen zu unterstützen. Es wäre doch schön, wenn wir uns mit diesem Konzept in naher Zukunft nicht mehr erklären müssten.

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